Demokratiebildung mit Kindern bis 10 Jahre in der Kindertagesbetreuung
Demokratiebildung von klein auf ist ein nachhaltiger Grundstein für ein friedliches und wertschätzendes Zusammenleben in unserer Gesellschaft.
Das Verständnis für demokratische Werte und Strukturen bildet sich vor allem im täglichen Miteinander aus. In Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege werden alle Kinder in ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zu demokratischer Teilhabe und zum wertschätzenden Umgang mit Vielfalt gestärkt.
Demokratieerleben bedeutet, dass Kinder gefragt und ernst genommen werden. Aber wie kann all das mitten im pädagogischen Alltag gelingen?
Das Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz (IFP) unterstützt die frühpädagogische Praxis in Kitas und in der Kindertagespflege beim Umsetzen und Reflektieren mit Informationen und Materialien rund um das Thema „Demokratiebildung im pädagogischen Alltag“. Im Laufe des Jahres 2024 wird zudem auf dem KITA HUB noch ein kostenfreier Online-Kurs freigeschaltet und auf der Website eine Handreichung zum Thema Demokratiebildung von 0-10 Jahren in der Kindertagesbetreuung eingestellt.
Abbildung eines Abstimmungsgremiums in der Kita aus dem BayBL Begleitfilm 2 „Planung und Gestaltung von Bildungsprozessen“.
Demokratiebildung führt Kinder in unsere Demokratie ein, in der alle Menschen frei ihre Meinung sagen dürfen und in der für unser gedeihliches Zusammenleben Entscheidungen und Regeln in Form von Gesetzen getroffen werden, die Menschen gemeinsam und anhand von Abstimmungen aushandeln und bei Bedarf auch wieder verändern.
Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege verstehen sich als demokratisch verfasste Gemeinschaft, in denen es möglich ist, mit Kindern Demokratie im Alltag zu leben und für sie aktiv erfahrbar zu machen. Dies bedeutet einen Rahmen zu schaffen, in dem Kinder viele Gelegenheiten erhalten, sich einzubringen, gehört zu werden, mitzuentscheiden und so lernen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. All dies lernen sie im alltäglichen Miteinander mit Erwachsenen und anderen Kindern:
- Der Grundstein für ein demokratisches Zusammenleben ist die Partizipation der Kinder im Alltag. Im Dialog und Austausch können sie verschiedene Möglichkeiten des Aushandelns und der Abstimmung, den damit verbundenen Regeln und der Konsensfindung kennenlernen und erleben. Sie erfahren dadurch, dass ihre Meinung wichtig ist und jede Stimme gleichermaßen zählt, auch wenn sie überstimmt wird.
- Auf dieser Basis von Wertschätzung und Fairness lässt sich eine Beschwerde- und Streitkultur mit unterschiedlichen Strategien der Konfliktlösung entwickeln.
- Getroffene Entscheidungen und Regelungen sind nicht in Stein gemeißelt, sondern bei Bedarf wieder veränderbar – auch diese Erfahrung ist für junge Kinder wichtig.
- Durch das Vor- und Erleben all dieser demokratischen Grundwerte und -regeln können Kinder und Erwachsene dazu beitragen, dass ihre Gemeinschaft von einer demokratischen, vorurteilsbewussten Grundhaltung geprägt ist, und dass jede und jeder in ihr demokratische Kompetenzen ausbilden und weiterentwickeln kann.
Zur Demokratiebildung gehört auch die politische Bildung, die Kinder in unser politisches System, deren Gremien, Strukturen und Verfahren in Grundzügen einführt. Dies geht am besten auf kommunaler Ebene, indem Kinder das Landratsamt oder Bürgermeisterbüro besuchen oder sich mit Ideen z.B. zur Spielplatzgestaltung in ihrer Gemeinde einbringen.
Ein wesentliches Ziel der Demokratiebildung ist es, alle Kinder und Erwachsenen in der Einrichtung durch eine gelebte und lebendige Alltagsdemokratie für demokratische Werte, wie Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Akzeptanz von Vielfalt sowie gegenseitige Wertschätzung zu sensibilisieren.
Demokratiebildung von Anfang an bereitet junge Menschen darauf vor, ein eigenverantwortliches Leben mit gemeinschaftsfähigen und weltoffenen Werten zu führen, die zu einer aktiven Teilnahme an einer demokratischen Gesellschaft befähigen. Sie trägt dazu bei, dass Unterschiede zwischen Menschen als Bereicherung und Chance wahrgenommen werden, um die eigene Perspektive zu erweitern, andere Standpunkte zulassen zu können und Vorurteile zu überdenken.
Da sich diese demokratischen Kompetenzen nur im gemeinsamen Miteinander entwickeln können, tragen die Erwachsenen eine entscheidende Rolle in diesem Bildungsprozess. Anders als bei der Vermittlung von reinen Wissensinhalten ist bei der Demokratiebildung ausschlaggebend, dass die demokratischen Grundwerte und -regeln durch das Vorleben und Anwenden erfahrbar werden und eingeübt werden können. Erwachsene können daher als Moderatoren dieses Bildungsprozesses betrachtet werden. Die Kinder nehmen sich durch dieses Rollenbild als selbstwirksam und anerkannten Teil der Gemeinschaft wahr. Gleichzeitig lernen sie aktiv am Modell.
Kindertageseinrichtungen bieten ein ideales Erfahrungs- und Übungsfeld, um Teilhabe und Mitbestimmung zu erproben, zu erfahren und zu leben. Die Fachkräfte können tagtäglich verschiedene Möglichkeiten der Demokratiebildung einfließen lassen, gemeinsam mit den Kindern erproben und etablieren. Im geschützten Setting der Kita lernen sich alle Kinder nach ihren Fähigkeiten mitzuteilen, zuzuhören und auch Kompromisse einzugehen. Das Recht auf Beteiligung ist dabei keine Frage des (Entwicklungs-)Alters. Alle Kinder können ihre Interessen mitteilen und sollten altersangemessen an Entscheidungsprozessen beteiligt werden.
Dies ist nur durch die altersgerechte Eröffnung von Partizipationsmöglichkeiten für Kinder im pädagogischen Alltag, durch eine demokratische Grundhaltung der pädagogischen Fachkräfte und mittels strukturell verankerter und für die Kinder transparenter Beteiligungsverfahren und -gremien möglich. Im Zentrum der Demokratiebildung steht somit das Kinderrecht Partizipation.
Das Thema „Demokratiebildung und Partizipation“ ist fester Bestandteil in den Curricula der Kindertagesbetreuung in Bayern und dort sowohl als Querschnittsaufgabe als auch als Bildungsthema verankert:
- Bayerische Bildungsleitlinien (BayBL)
- Bayerischer Bildungs- und Erziehungsplan (BayBEP)
- Handreichung zum BayBEP für Kinder in den ersten drei Lebensjahren
Auf das Thema Demokratiebildung wird in den curricularen Grundlagen für die pädagogische Arbeit in der Kindertagesbetreuung nicht nur explizit eingegangen, sondern auch implizit in allen Bildungsbereichen und für die alltagspraktische Umsetzung thematisiert. Zugleich ist es von jeder Einrichtung nach § 45 SGB VIII in der Kita-Konzeption zu verankern und kann zum Beispiel durch eine Kita-Verfassung konkretisiert werden.
"Oberstes Bildungs- und Erziehungsziel ist der eigenverantwortliche, beziehungs- und gemeinschaftsfähige, wertorientierte, weltoffene und schöpferische Mensch. Er ist fähig und bereit, in Familie, Staat und Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, und offen für religiöse und weltanschauliche Fragen." S. 7
"Alle Bildungsorte stehen in der Verantwortung, der Partizipation der Kinder einen festen Platz einzuräumen und Demokratie mit Kindern zu leben. " S. 8
"Zentrale Aufgaben der Pädagoginnen und Pädagogen sind die Planung und Gestaltung optimaler Bedingungen für Bildungsprozesse, die eigenaktives, individuelles und kooperatives Lernen nachhaltig ermöglichen." S. 9
„In einer Demokratie ist das Recht auf Beteiligung keine Frage des Alters. Jedes Kind hat ein Recht darauf, seine Interessen zu äußern und in altersangemessener Weise mit diesen auch berücksichtigt zu werden. Partizipation ist eine Frage der pädagogischen Haltung und Gestaltung. Je jünger bzw. je weniger selbstständig Kinder sind,
- desto weniger können sie selbst Beteiligungsrechte einfordern
- desto größer ist die Verantwortung der Erwachsenen, Kindern Partizipation zu ermöglichen
- desto höher sind die Ansprüche daran, wie Partizipation methodisch umzusetzen ist
- desto wichtiger ist es, über die pädagogische Grundhaltung nachzudenken, die das eigene Handeln bestimmt.
Alle Bildungsorte und -einrichtungen stehen daher heute in der Verantwortung, der Partizipation der Kinder einen festen Platz einzuräumen“ S. 31
"Partizipation erhöht die Identifikation mit der Einrichtung, stärkt das Gemeinschaftsgefühl und erleichtert soziale Inklusionsprozesse, denn Mitentscheidung ist untrennbar verbunden mit sozialer Mitverantwortung" S. 35
"Das Demokratieprinzip prägt das gesamte Bildungsgeschehen und trägt die Idee von „gelebter Alltagsdemokratie“ in sich. Es basiert auf einer Kultur der Begegnung, die demokratischen Grundsätzen folgt, und damit auf Partnerschaft und Kooperation. Wenn das Bildungsgeschehen eine soziale und kooperative Ausrichtung erfährt, vereint sich diese Kultur der Begegnung mit einer Kultur des Lernens, die auf das Wohlbefinden und die Engagiertheit aller Akteure setzt. Partnerschaft gründet auf Gegenseitigkeit, Gleichberechtigung und Wertschätzung. Sie bedeutet, sich respektvoll zu begegnen und als Partner zusammenzuwirken, denn jeder hat besondere Stärken und kann etwas einbringen. Partnerschaft erfordert angemessene Beteiligung an Entscheidungsprozessen in gemeinsamen Angelegenheiten, mit dem Ziel ko-konstruktiver Aushandlung und Mitbestimmung. Beschwerde- und Streitkultur sowie eine Kultur der Konfliktlösung sind weitere Aspekte von Demokratie." S. 48
"Die Tageseinrichtung steht in der besonderen Verantwortung, Kinder auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten. Das bedeutet, dass Kinder z. B. Entscheidungsfindung und Konfliktlösung auf demokratischem Weg lernen – im Gespräch, durch Konsensfindung und durch Abstimmungen, nicht aber durch Gewalt und Machtausübung. Kinder entwickeln diese Fähigkeiten, wenn ihnen regelmäßig Mitsprache und Mitgestaltung beim Bildungs- und Einrichtungsgeschehen zugestanden und ermöglicht werden.“ S. 53
"Kinderbeteiligung in Tageseinrichtungen führt Kinder ein in die Regeln der Demokratie und ist eine wichtige Gelegenheit für frühe politische Bildung. Demokratisches Verhalten hat in unserer Gesellschaft hohen Stellenwert, Demokratie lebt vom Engagement ihrer Bürger. Wenn Kinder in viele Prozesse aktiv einbezogen werden, dann erweitern sie ihre demokratische Kompetenz. Die geschützte Öffentlichkeit der Tageseinrichtung ist dafür ein ideales Erfahrungs- und Übungsfeld. Wenn in Beteiligungsprojekten Themen aufgegriffen werden, die ins Gemeinwesen führen, dann werden Tageseinrichtungen auch öffentlich mehr wahrgenommen. Es entstehen wertvolle Kontakte zu anderen Institutionen, zur Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, aber auch zu Medien, die über solche Projekte berichten. Für Kinder wird Politik dadurch konkret erfahrbar." S. 390f.
"Wenn Kinder in viele Prozesse aktiv einbezogen werden, dann erweitern sie ihre demokratische Kompetenz. Die geschützte Öffentlichkeit der Tageseinrichtung ist dafür ein ideales Erfahrungs- und Übungsfeld." S. 391
"Fähigkeit und Bereitschaft zur demokratischen Teilhabe
- Grundverständnis darüber erwerben, dass man anstehende Aufgaben und Entscheidungen gemeinsam lösen bzw. treffen kann
- Bei unterschiedlichen Interessen und Meinungen aufeinander zugehen, Kompromisse eingehen und gemeinsam Lösungen aushandeln, die auf Interessenausgleich abzielen
- Bedeutung von Regeln für das Zusammenleben und deren Veränderbarkeit erfahren
- Erste Erfahrungen in der Begegnung mit Verwaltung und Politik." S. 392
"Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan basiert auf dem Demokratieprinzip und damit auf Partnerschaft und Partizipation aller Beteiligten: Kinder, Eltern, Fachkräfte, Träger und Kooperationspartner der Einrichtung." S. 34
„Jedes Kind hat nach der UN-Kinderrechtskonvention das Recht, an allen es betreffenden Entscheidungen entsprechend seinem Entwicklungsstand beteiligt zu werden. Dieser Freiwilligkeit des Kindes steht die Verpflichtung der Erwachsenen gegenüber, jedem Kind Beteiligung zu ermöglichen und sein Interesse für Beteiligung zu erhalten und zu wecken, denn Kinder sind von Geburt an auf Selbstbestimmung hin angelegt. Partizipation stellt das Handeln mit Kindern statt für sie heraus und ist von Geburt an möglich. Den Kindern ein selbstbestimmtes Handeln im Lebensalltag zu ermöglichen gehört ebenso dazu, wie sie an der Gestaltung der Lernumgebung (zum Beispiel Raumgestaltung, Materialanschaffung), des Zusammenlebens (zum Beispiel Regeln aufstellen) und der Bildungsprozesse (zum Beispiel Bildungsthemen, Lerninhalte, Planung und Durchführung von Projekten) in der Einrichtung oder Tagespflege zu beteiligen.“ S. 35
„Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan streicht daher die Verantwortung der Kindertageseinrichtung, aber auch der Tagespflege, heraus, der Partizipation der Kinder einen hohen Stellenwert und festen Platz einzuräumen und in der Einrichtungskonzeption zu verankern. Eine auf Partizipation gründende Bildungspraxis umfasst insbesondere folgende Elemente:
- Partizipation im Alltag (zum Beispiel sich in der Einrichtung frei und selbstbestimmt bewegen, Reflexion von Lerngeschichten mit Kindern, Morgenkreis);
- Partizipation an der Planung und Durchführung von Projekten (zum Beispiel Auseinandersetzung mit bestimmten Themen; Umgestaltung der Lernumgebung);
- Kindern Verantwortungsbereiche für Andere übertragen (zum Beispiel Haus- und Gruppendienste; Patenschaften für neue Kinder);
- gemeinsam mit Kindern Regeln und Grenzen setzen;
- die Kindertageseinrichtung als demokratisch verfasste Gemeinschaft gestalten“ S. 122
„Ein autoritativer Interaktionsstil
Der Erwachsene zeigt eine klare Struktur von Erwartungen, eingebettet in emotionale Wärme, Verantwortung für das Kind und Partizipation des Kindes selbst. Dies bedeutet, das Kind an Entscheidungen zu beteiligen, ihm Selbst- und Mitbestimmung sowie Unabhängigkeit zuzugestehen und seinen Standpunkt zu achten. Andererseits ist es jedoch unerlässlich, klare Regeln und Grenzen zu geben, die jedoch auch immer wieder an die Situation angepasst und gemeinsam mit dem Kind ausgehandelt werden.“ S. 136
IFP Infodienst 2023 – Bericht „Demokratiebildung im Kita-Alltag – grundlegende Haltungen und Werte“ Erasmus+-Projekt S. 48-53
IFP Reflexionskarten zum feinfühligen Umgang mit Kindern
Handreichung Kindgerechter Umgang mit Krieg und Konflikten